„Baubranche schlägt Alarm – Deutschland fehlt Gips!“, „Woher kommt in Zukunft der Gips?“ – so lauteten einige Schlagzeilen der Publikumsmedien in der jüngeren Vergangenheit. Gips ist in zahlreichen Baustoffen, wie Gipsbauplatten oder auch zement-, kalk- und gipsbasierten Putzen, Estrichen und Mörtel, ein wichtiger, nicht zu ersetzender Bestandteil. Stehen Estrichleger, Stuckateure und Trockenbauer demnächst ohne Material da? Wie sicher ist die Rohstoffversorgung tatsächlich und welche Faktoren spielen hier eine Rolle? In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Gipsindustrie (BV Gips) informiert der Verband für Dämmsysteme, Putz und Mörtel (VDPM) im folgenden Beitrag über den aktuellen Stand und die Perspektiven.
In Deutschland liegt der Gipsbedarf pro Jahr mit steigender Tendenz bei rund 10 Mio. Tonnen. Er wird vollständig aus heimischen Rohstoffquellen gedeckt. Etwa die Hälfte der benötigten Gipsmenge entstammt dem Prozess der Rauchgasentschwefelung von Kohlekraftwerken als sogenannter REA-Gips. Bei der restlichen Menge handelt es sich im Wesentlichen um Naturgips/-anhydrit, der im Tagebau oder untertägigem Abbau gewonnen wird.
Kohleausstiegsgesetz beendet REA-Gips-Produktion in Deutschland bis spätestens 2038
Die entscheidende Veränderung bei der Gips-Rohstoffversorgung resultiert aus dem Mitte 2020 durch die Bundesregierung beschlossenen Kohleausstiegsgesetz. Es sieht den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 vor. Das bedeutet einen kontinuierlichen Rückgang bei der REA-Gipsproduktion. Dieser Prozess läuft bereits und führt an seinem Ende in spätestens 18 Jahren dazu, dass überhaupt kein REA-Gips mehr zur Verfügung steht. Mehr als die Hälfte des Bedarfs muss also nach und nach aus anderen Quellen gedeckt werden.
Die Konsequenzen des Abschieds vom REA-Gips werden nicht nur durch die Mengenverhältnisse deutlich. REA-Gips hat die im Vergleich zu Naturgips/-anhydrit und zu Recyclinggips höchste Reinheit (Calciumsulfatanteil) und verursacht den geringsten Aufwand sowie entsprechend niedrigere Kosten bei der Gewinnung.
Alternative Rohstoffquellen
Gipsrecycling
Ein weiterer wichtiger Pfeiler bei der Versorgung mit Gips ist das Gipsrecycling, für das sich dieser Baustoff hervorragend eignet, weil man ihn fast sortenrein zurückgewinnen und anschließend immer wieder in hochwertigen Kreisläufen recyceln kann. Die anfallenden Gipsabfallmengen können jedoch trotz großer Anstrengungen der Branche selbst bei 100-prozentiger Wiederverwendung nur einen begrenzten Anteil zur Rohstoffversorgung beisteuern. In Deutschland entstehen derzeit pro Jahr nur etwa 640.000 Tonnen gipshaltige Bauabfälle. Die Hälfte davon ist wirtschaftlich und technisch recyclingfähig. Derzeit wird das Recycling allerdings noch von entgegenstehenden rechtlichen Rahmenbedingungen erschwert, die dringend geändert werden müssen.
Technisch erzeugte Calciumsulfate
Neben Naturgips und -anhydrit, dem REA-Gips und dem recycelten Gips gibt es noch die technisch erzeugten Calciumsulfate. Das sind Bindemittel, die als Nebenprodukt bei technischen Prozessen anfallen. Dazu gehört z.B. der synthetische Anhydrit, der als Koppelprodukt bei der Herstellung von Flusssäure anfällt. Aufgrund seiner Reinheit wird er bereits heute vollständig einer hochwertigen Verwendung zugeführt. Zur Gruppe der technisch erzeugten Gipse gehört ebenfalls der sogenannte „Phosphorgips“, der allerdings nicht ohne Weiteres verwendet werden kann. Aber auch diese technischen Gipse reichen bei Weitem nicht aus, den Rückgang der REA-Gipsproduktion zu kompensieren.
Lückenschluss mit Naturgips/-anhydrit
Vor dem Hintergrund der ambitionierten Ziele im Wohnungsbau, der steigenden Notwendigkeit energetischer Modernisierungen sowie des Ausbaus und Erhalts der Infrastruktur wird der Rohstoffbedarf der gipsverarbeitenden Industrien bis 2035 auf mindestens 10,7 Mio. Tonnen pro Jahr ansteigen. Der extremen REA-Gips-Verknappung steht somit ein gleichzeitig wachsender Bedarf an Gipsprodukten gegenüber. Diese Lücke kann zum weit überwiegenden Teil nur durch die erhöhte Gewinnung von Naturgips/-anhydrit geschlossen werden.
Diese Tatsache ist den Politikern auf Bundesebene mittlerweile klar, und es werden hier auch Prioritäten gesetzt. In der Fortschreibung der Rohstoffstrategie der Bundesregierung (Januar 2020) heißt es u.a.: „Gipsrecycling wird den zukünftigen Bedarf […] nur in begrenztem Maße decken können. Entsprechend ist die Ausweisung neuer Abbaugebiete für Naturgips erforderlich, um die benötigten Gipsmengen bereitzustellen.“ Die Bundesländer sprachen sich in ihrer Stellungnahme zum Kohleausstiegsgesetz (März 2020) dafür aus, den REA-Gips-Anteil vermehrt durch Abbau von Naturgips in Deutschland oder durch Import zu ersetzen.
Deutschland hat selbst große Gipsvorkommen. Neue potenzielle Abbaugebiete für Naturgips/-anhydrit gibt es insbesondere in Baden-Württemberg, in Nordbayern (Franken) und im Südharz. Die letztgenannte Region (in Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt) verfügt über die größte Menge und hochwertiges Abbaumaterial. Die Wirtschaftsministerkonferenz der Bundesländer hat einen einstimmigen Beschluss gefasst (November 2019) zur verlässlichen Sicherstellung der Gipsversorgung nach dem REA-Gips-Ende und gefordert, dazu bereits jetzt entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Dies muss nun auch in der Realität umgesetzt werden, um sich bereits abzeichnenden Engpässen bei der Gips-Rohstoffversorgung vorzubeugen.
Naturgipsabbau und Umweltschutz lassen sich vereinbaren
Naturgips/-anhydrit ist in Deutschland ausreichend vorhanden und technisch wie ökonomisch grundsätzlich gut erschließbar. Beim Abbau von Naturgips/-anhydrit gelten in Deutschland schon jetzt sehr hohe Umweltstandards und Vorgaben. Die Industrie geht bei ihren Aktivitäten oft über dieses Niveau hinaus und setzt konsequent auf hochwertige Rekultivierung und Renaturierung der Abbauflächen. Steinbrüche haben sich aus Sicht des NABU (Naturschutzbund Deutschland) zu immer wertvolleren Ersatzlebensräumen für bedrohte Pflanzen- und Tierarten entwickelt. Sie werden nicht trotz, sondern wegen des laufenden Gewinnungsbetriebs zu neuen Lebensräumen für oftmals seltene Arten. Gips-Rohstoffsicherung und Umweltbelange lassen sich also in Einklang bringen.
Politik muss mehr tun, die Branche macht Druck
Wie geht es weiter? Im Text des Kohleausstiegsgesetzes ist die Gips-Rohstoffsicherung konkret berücksichtigt. Zu festgelegten Zeitpunkten (2022, 2026, 2029 und 2032) wird die Bundesregierung Auswirkungen des Gesetzes auf Rohstoffe, insbesondere Gips, die im Zuge der Kohleverstromung gewonnen werden, untersuchen. Schon das erste Prüfdatum wird die fallende REA-Gips-Kurve abbilden. Hier wird der Druck von Seiten der Industrie – aber auch der Fachunternehmer – auf die Politik wachsen. Vor Ort gilt es, die Kommunikation zu intensivieren, sachlich zu argumentieren und Vorurteile in Landkreisen und Kommunen abzubauen. Letztere können von Produktionsstandorten durch neue Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen profitieren.
Alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette – Industrie, Fachhandel und das verarbeitende Handwerk (Estrichleger, Trockenbauer, Stuckateure etc.) – brauchen eine verlässliche Perspektive und sollten sich gemeinsam dafür einsetzen, dass die künftige Rohstoffsicherung auch ohne REA-Gips stabil gewährleistet bleibt. Dabei muss die Politik die notwendige Unterstützung leisten.